Deutsch Intern
    Lehrstuhl für Computerphilologie und Neuere Deutsche Literaturgeschichte

    Siedlungsraum-Transformationen

    Archäo-Informatische Studien zu Siedlungsraum-Transformationen von der Antike zum Mittelalter in Nordbayern

    Armin Volkmann


     

    Dreidimensionales Geländemodell der „Wettenburg“ an der Urpharer Mainschleife: In der Bildmitte sind im interpolierten Höhenmodell sehr schön die Abschnittswälle der befestigten Höhensiedlung zu erkennen. Auf der Wettenburg konnte neben den früheisenzeitlichen Befestigungsanlagen und Bebauungsspuren auch eine völkerwanderungszeitliche Nutzung durch zahlreiches Fundmaterial belegt werden. Weitere Höhensiedlungen sind im Untersuchungsgebiet am Main ebenso in der Völkerwanderungszeit genutzt worden. Diesen „zentralen Orten“ kann eine exzeptionelle Bedeutung in der Raumkonzeption zugesprochen werden. Das Geländemodell basiert auf Airborne-Laserscandaten (X, Y, Z-Werte) des Bayerischen Landesamts für Vermessung und Geoinformation mit einer hochauflösenden Messpunktdichte von einem Meter.

     

    Ausgangslage

    Im Anschluss an meine Dissertation „Geoarchäologische Forschungen zur Abwanderung der germanischen Bevölkerung von der mittleren Oder“ entstand die Idee, die dabei entwickelten Standortfaktorenanalysen zu Fragen über die Ursachen von „Völkerwanderungen“ einmal auch in einer anderen Testregion anzuwenden. Inhaltlich möchte ich dabei an meine Beobachtungen anschließen, wonach es in meinem bisherigen Arbeitsgebiet an der mittleren Oder, im Inneren der Germania libera, offenbar zu einem drastischen Bevölkerungsrückgang im späten 5. und im 6. Jahrhundert AD, bei einem gleichzeitigen Auftreten von Klimaextremen, gekommen ist. In vergleichender Perspektive möchte ich der Frage nachgehen, wie sich die Siedlungsverhältnisse im Übergang von der Römerzeit zum Frühmittelalter im nun ausgewählten Gebiet am mittleren Main, im heutigen Regierungsbezirk Unterfranken, entwickelt haben. Dabei möchte ich aber auch hier die möglichen Probleme klimatischer Veränderungen in Bezug zu Siedlungsstandortwahlen untersuchen. Dazu kommen die Methoden einer neu- und weiterentwickelten kartographischen Umfeldanalyse in einem Geographischen Informationssystem (GIS) zur Anwendung. Eine mit dem GIS verknüpfte Datenbank der Archäo- und Geoinformationen stellt dabei die Basis der Untersuchung dar.

     

     

    In sogenannten Voronoi-Diagrammen werden über „Next-Neighbor-Beziehungen“ im GIS Polygone berechnet, die auf der Grundlage der Fundstellenintensitäten hypothetische Besiedlungs-Raummuster darstellen. So können Unterschiede der Besiedlungsintensitäten und der Siedlungslagen im zeitlichen Verlauf erfasst und verdeutlicht werden. Gezeigt wird das rekonstruierte Besiedlungsmuster der späten Römischen Kaiserzeit, Stufe C (spätes 2. bis 4. Jh. AD) im unteren Odergebiet.

    Untersuchungsraum und Forschungsfragen

    Als Untersuchungsraum bietet sich besonders der Regierungsbezirk Unterfranken an, denn hier am mittleren Main verlief der Limes als Grenze zwischen dem Römischen Reich und dem „Barbaricum“. Es liegt auf der Hand, dass bei einer viel stärker durch soziale, politische und rechtliche Faktoren geprägten und differenzierten Gesellschaft wie der des Römerreiches, die Abhängigkeiten des Siedlungsbildes von Gegebenheiten der Natur, des Reliefs und des Klimas viel geringer sind, als im „barbarischen“ Siedlungsraum. Die starke funktionale Differenziertheit im Siedlungsbild zwischen Städten (civitates, oppida), Kleinstädten (vici) und ländlichen Betrieben/Siedlungen (Gutshöfe, Einzelhöfe, Dörfer) eröffnet andererseits jedoch auch besonders gute Möglichkeiten, Transformationen und Brüche in der Entwicklung von Siedlung und Wirtschaft zu erkennen. In jüngerer Zeit mehren sich die Anzeichen dafür, dass es in der nachrömischen Zeit keine allgemeine Rückentwicklung zu einem Siedlungssystem gegeben hat, das nur noch agrarische Siedlungen kannte. Eine Kontinuität bestimmter städtischer Funktionen steht in vielen Fällen heute außer Frage (so fast alle civitates und zahlreiche Kleinstädte). Jedoch sind auch städtische Siedlungsabbrüche und frühe präurbane Neubildungen bereits seit der beginnenden Merowingerzeit bekannt. Im ländlichen Bereich wird das Problem von Kontinuität und Diskontinuität zurzeit intensiv diskutiert. Dass am Ende der Entwicklungen auf dem Land das völlige Verschwinden von Gutshöfen des Typs villa rustica und die Dominanz des Dorfes steht, wird zwar allgemein akzeptiert, jedoch der Weg dahin wird ganz unterschiedlich interpretiert. Der These vom radikalen Bruch in der Entwicklung agrarischer Betriebseinheiten (Villa versus Dorf) steht die Auffassung von einer allmählichen Transformation (von der Villa zum Dorf) entgegen.

    Auch im Limesvorland, im „Barbaricum“, scheint es sich nicht ausschließlich um agrarische Kleinsiedlungen gehandelt zu haben, wie die beeindruckend großen Höhensiedlungen entlang des Maines andeuten. War die Anlage der Siedlungen im germanischen Maingebiet römisch inspiriert? Oder sind sie durch ihre Standortwahl eher in germanischer Siedlungstradition zu verstehen? Es gehört zu den Desiderata der Forschung, diese Diskussion durch eine umfassende Analyse und Statistik der Siedlungsfundstellen zu qualifizieren. Für alle Fälle, in denen der Charakter und die Funktion der Siedlungsfundstellen bekannt sind, soll eine möglichst vielseitige geographisch-naturräumliche Lagebestimmung (Oberflächenrelief, Hydrologie, Böden, Wege- und Straßensysteme usw.) erfolgen und zum Ausgangspunkt der Suche nach Situationsmustern verschiedener Arten von Siedlungen gemacht werden. Diese Lagedefinitionen und vor allem ihre Veränderungen im Zeitablauf sollen außerdem Überlegungen zu Veränderungen der Wirtschaftssysteme (z.B. Aufkommen der Dreifelderwirtschaft, neue Transportsysteme), der sozialen Organisationsformen sowie der natürlichen Umwelt und der Klimabedingungen ermöglichen.

    In der Literatur werden jüngst Thesen vertreten, die bereits für die Römerzeit den in ökologischen Randlandschaften nachgewiesenen kleineren agrarischen Produktionsbetrieben (Kleingehöfte, dorfähnliche Gruppensiedlungen) ein bemerkenswertes agrartechnisches Innovationspotential zuschreiben. Die in den großen Flusstälern und den von Natur aus fruchtbaren, ausgedehnten Lößlandschaften dominierenden römischen Gutshöfe vom Typ der villa rustica sollen dagegen durch ein eher extensives Produktionsprofil gekennzeichnet sein. Es bietet sich an, auch diesen thesenhaft vermuteten Zusammenhang durch die beschriebene Fundstellenanalyse zu überprüfen und verschiedene Raumerschließungsmodelle auf ihren möglichen Produktivitätshintergrund zu analysieren.

    Interessanterweise lässt sich auch im Inneren der Germania libera, namentlich im vorherigen Untersuchungsgebiet an der Oder, bisweilen eine zielgerichtete, planvolle Siedlungsstandortwahl erkennen, die sich offenbar nicht nur durch landwirtschaftliche Gunst oder Ungunst erklären lässt, sondern durch bestimmte ökonomische und soziale Organisationsformen bestimmt zu sein scheint. Es ist interessant zu untersuchen, ob sich solche Erscheinungen auch auf provinzialrömischem Boden wieder finden lassen bzw. sofern dies der Fall ist, ob sich hier diese Ansätze parallel oder durch externe Einflüsse angeregt ausgeprägt haben.

     

    Quellenlage und Kooperationspartner

    In Unterfranken gibt es einen vergleichsweise fortgeschrittenen Stand der Erfassung von archäologischen Fundstätten insbesondere der Römerzeit und des Frühmittelalters, der bereits in groß angelegten Katalogpublikationen seinen Niederschlag gefunden hat. Die Situation der Fundstellen ist hier nicht nur aus den umfangreichen Bänden der Publikationen ersichtlich, sondern lässt sich auch mit einem gewissen Aufwand durch die Archivdaten des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege erschließen und komplettieren. Auch hinsichtlich der naturwissenschaftlichen Forschungen zur Geschichte von Umweltveränderungen und Klimaentwicklungen usw. bestehen in Unterfranken günstige Voraussetzungen: So konnten, neben dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, das Bayerisches Landesamt für Umwelt und Landesamt für Vermessung und Geoinformation als Kooperationspartner des Projektes gewonnen werden. Die archäologischen und naturräumlichen Daten der bayerischen Landesbehörden werden u.a. in einem Geografischen Informationssystem (GIS) anhand von dezidierten Fundstellenkartierungen mehreren thematischen Raumanalysen unterzogen. Dabei ist weitergehend auch die grundlegende Forschungsfrage nach dem Verhältnis des (prähistorischen) Menschen zu seiner Umwelt ein ganz zentrales Element der Forschungen zu römisch-germanischen Siedlungsraum-Transformationen. Geplant ist, an vielerlei Kartensätzen die prähistorischen Umweltbedingungen besser zu verstehen und Umwelteingriffe signifikant zu verifizieren.

    Vom Landesamt für Vermessung und Geoinformation werden hochauflösende, nicht freiverfügbare Airborne-Laserscandaten ausgewertet, die aufgrund der Detailfülle (Messdichte: 2m) zahlreiche Analysemöglichkeiten in Bezug zur topographischen Lage der archäologischen Fundstellen bieten. Via WMS-Server (World-Map-Server) können zahlreiche thematische Detailkartierungen des Bayerischen Landesamtes für Umwelt ins GIS implementiert und systematisch ausgewertet werden.

     

    Literatur

    M. Arens, Antike in Unterfranken (Dettelbach 2011).

    D. Hägermann, Akkulturation. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Ergänzungsband (RGA-E) 41(Berlin 2004) 396-435.

    K. Hoffmann, Kleinfunde der römischen Kaiserzeit aus Unterfranken: Studien zur Siedlungsgeschichte und kulturellen Beziehung zwischen Germanen und Römern (Leidorf 2004).

    O. Nakoinz, Zentralortforschung und zentralörtliche Theorie. Arch. Korrbl. 39, 2009, 361-380.

    R. Obst, Die Besiedlungsgeschichte am nordwestlichen Maindreieck vom Neolithikum bis zum Ende des Mittelalters. Würzburger Arbeiten zur Prähistorischen Archäologie 4 (Rahden 2012).

    W. Schier, Die vorgeschichtliche Besiedlung im südlichen Maindreieck (Kallmünz 1990).

    http://armin-volkmann-geoarchaeology.de